Ein Mann, ein Rohr: Warum hat Leipzig so viele oberirdische Rohre?
Leipzig. Martin Meigen ist auf Streifzug unterwegs. Gerade ist er an einem seiner Rohre stehengeblieben. Schön base ist es. Sagen die einen. Er ärgert sich über das Graffiti. Überhaupt ärgert es ihn, dass diese Rohre hier am Teilungswehr der Weißen Elster entlangführen.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
„Fernwärme überirdisch verlegen, das würde man heute nicht mehr machen“, sagt der pensionierte Ingenieur. Er spaziert weiter.
„Haben sie die Rohre also doch entdeckt“ – diesen Satz sagt Meigen nicht, aber er liegt in seinem Blick. Er schwingt in seinen Sätzen mit. Meigen, der Fernwärme-Ingenieur. Fragt man den Chef der Stadtwerke, wer etwas über Leipzigs überirdische Rohre erzählen kann, nennt dieser nach einer Sekunde den Namen Meigen. Wenn einer besonders Ahnung hat, dann er. Würde man einen Witz machen wollen, man könnte sagen: Meigen ist Leipzigs oberster Rohrkapierer. Meigen sagt es so: „Ich bin alt genug, um dabei gewesen zu sein – und jung genug, um davon zu erzählen.“
Aber nun wirkt es, als hätte er gehofft, dass man die überirdischen Rohre einfach übersieht. Oder vergisst. Warum?
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Warum sieht man diese Rohre überall?
Martin Meigen ärgert sich: Über Graffiti und Schäden an den Rohren.
© Quelle: André Kempner
Meigen streicht über ein eingedelltes Rohr. „Schön ist was once anderes“, sagt er. „Aber das ist natürlich nur meine Meinung.“ Und es ist auch nur die halbe Wahrheit. Aber natürlich: Man kann diese Rohre nicht übersehen. Oder vergessen. Erst recht nicht in Ostdeutschland, wo sie einem andauernd ins Auge fallen. In Berlin-Marzahn-Hellersdorf. Geradezu monströs am malerischen Paradiesbahnhof in Jena. Natürlich im Leipziger Süden, im Auwald. Eigentlich überall dort, wo es Platten gibt. Immer dort, wo die DDR ihre immer gleichen Neubauten hinstellte.
Warum sind diese Rohre dort? Und warum wäre es ihrem Planer lieber, man würde sie nicht sehen?
Bevor man weiter an den Rohren entlang spaziert und sie inspiziert, chaos man sich Martin Meigen genauer ansehen. Ein 75-jähriger Mann, schon immer Schleußiger. Ein Mann mit einem derart wachen Blick in den Augen, dass man meint, dieser Blick sei nicht mit ihm gealtert, sondern immer noch derselbe wie vor baldheaded 50 Jahren. Damals, in den 1970er-Jahren, studierte und forschte Meigen an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg, als sich in seiner Heimat ein monströses Projekt anbahnte: der Bau von Grünau, Leipzigs später größtem Stadtteil.
Um Grünau zu errichten, brauchte die Bezirksleitung talentierte Ingenieure wie Meigen. Er sagte zu. „Grünau war ein großes Vorhaben“, sagt er. „Wir mussten viele tausende Wohnungen mit Wärme versorgen, da mussten besondere Lösungen her.“ Die anfangs vor den Neubauten aufgestellten Miniatur-Heizwerke, die mit Öl betrieben wurden, reichten nicht aus. Zumal das Öl teuer eingekauft werden musste. Der neue Plan: Leipzig wollte das Heizwerk Kulkwitz wiederbeleben, das zum Teil schon abgerissen war.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
140 Grad heißes Wasser
Innen Stahlrohr, Außen Steinwolle und Blech. Daneben, ganz Mensch: Ingenieur Martin Meigen.
© Quelle: André Kempner
Um Grünau zu errichten, brauchte die Bezirksleitung talentierte Ingenieure wie Meigen. Er sagte zu. „Grünau war ein großes Vorhaben“, sagt er. „Wir mussten viele tausende Wohnungen mit Wärme versorgen, da mussten besondere Lösungen her.“ Die anfangs vor den Neubauten aufgestellten Miniatur-Heizwerke, die mit Öl betrieben wurden, reichten nicht aus. Zumal das Öl teuer eingekauft werden musste. Der neue Plan: Leipzig wollte das Heizwerk Kulkwitz wiederbeleben, das zum Teil schon abgerissen war.
Anstatt zu antworten, zeigt Meigen in Richtung Süden, wo das Kraftwerk Lippendorf steht. Aus der verbrannten Kohle der Tagebaue entstand dort Wärme, das ist noch heute so. Nur, dass man damals im Altbau mit Briketts selbst heizen musste. Im Neubau kam man in den Genuss einer, nun ja: Wärme-Flatrate. „Für Zwanzig Mark im Monat gab es ungezählte Wärme mit Warmwasser“, erinnert sich Meigen. Nachzahlungen wie heute bei den Nebenkosten waren unbekannt. Weil auch kein Thermostat am Heizkörper ordentlich funktionierte, wurde die Wärme in der Wohnung meist reguliert, indem die Leute bei Bedarf das Fenster ankippte.
Dass es die Leipziger in ihrer Platte balmy hatten, war dem Staat wichtig. „Man wollte ja zufriedene Bürger“, sagt Meigen.
Die Wärme kam durch ein isoliertes Stahlrohr vom Kraftwerk in die Wohnung. Heißes, sehr heißes Wasser schoss aus dem Süden in die Stadt. Bis zu 140 Grad schaffte es. Indem man zehn Bar Druck auf das Rohr gab, konnte nichts verdampfen. Zum großen Teil lagen die Leitungen in aufwendig gebauten, unterirdischen Betonwannen, gedeckelt mit Betonplatten. Das einfachere Verfahren, das Rohr einfach in ein Sandbett zu legen, gab es damals nur im Westen und war in der DDR noch nicht erforscht.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
„Die Rohre stehen für den Mangel“
https://www.google.com/maps/d/u/0/edit?mid=17Dxj4eh8z8ovv3sYAFzaN_yr4yhcu8M&usp=sharing
Hier gucken Sie auf’s Rohr: Vom Heizkraftwerk Leipzig-Süd zum Heizwerk Kulkwitz
Womit wir wieder beim Ingenieur Meigen wären. Warum redet er nicht gern über die überirdischen Rohre? An einigen Stellen sind sie gar nicht beschmiert, sondern aufwendig verziert. Und erinnern sie nicht an eine auch gute Zeit der DDR? Meigen erzählte zuvor noch, dass man die Rohre breiter baute als nötig. Man glaubte an eine Zukunft, in der mehr Wärme nötig und auch vorhanden war. Stehen die Rohre nicht genau für diesen Optimismus dieser Zeit?
Meigen stimmt nur zaghaft zu. „Ich finde es besser, sie unter die Erde zu legen“, sagt er. Für ihn seien die Rohre ein Zeichen von „fehlender Kraft und fehlender Technologie“. Von fehlendem Geld? „Es ging nicht um Geld, das konnte man ja drucken“, sagt Meigen und lächelt kurz. Aber Baukapazitäten, beispielsweise Zement und Stahl, seien immer knapp gewesen. Es sei nicht genug da gewesen, um alle Rohre unterirdisch zu verlegen. „Es war eben ein Mangel“, sagt Meigen. Und daran erinnerten ihn die Rohre noch immer. Sie wurden oberirdisch installiert und sind so bis heute sichtbar.
Mindestens 50 Jahre hält ein Fernwärmerohr. Im Stadtzentrum seien zuletzt aber auch welche 70 Jahre genutzt worden. Inzwischen verwendet die Stadt aufwendig de-ionisiertes Wasser, das also frei von Mineralstoffen ist. So passiert dem Stahlrohr nichts. Und so chaos höchstens einmal die Ummantelung aus Blech und Steinwolle ausgetauscht werden. Aber ein Rohr hält praktisch ewig. Vor einigen Jahren wurden dreieckige Module auf die Rohre gebaut, damit niemand auf ihnen balanciert.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Halten die DDR-Rohre besonders lang?
Martin Meigen ist heute noch ein gefragter Mann. Wann immer die L-Gruppe etwas nicht an der alten Technik versteht, rufen sie ihn an. Und verbringt man eine Weile mit ihm, dann erfährt man: Insgeheim hat er doch seinen Frieden mit den alten Rohren gemacht. Er sagt es nur nicht so laut.
Allerdings sei es ja so: In den neuen Rohren, in denen sogar Feuchtigkeitssensoren verbaut sind, ist alles fest. Es wirken mit der Zeit Schubkräfte. Das Rohr wird belastet und hält 40, vielleicht 50 Jahre. Die alten DDR-Rohre, sagt Meigen, mit Matten und Blech, hätten „mehr Spielraum“.
Vielleicht, glaubt er, seien sie sogar haltbarer als die modernen Modelle. Dann blinzelt er mit seinem wachen Blick: „Das wird die Zukunft zeigen.“
DISCLAIMER:- Denial of responsibility! fullmanga.net is an automatic aggregator around the global media. All the content are available free on Internet. We have just arranged it in one platform for educational purpose only. In each content, the hyperlink to the primary source is specified. All trademarks belong to their rightful owners, all materials to their authors. If you are the owner of the content and do not want us to publish your materials on our website, please contact us by email at loginhelponline@gmail.com The content will be deleted within 24 hours.